Wilhelm Gebhard
In einem aktuellen Interview mit der HNA spricht Wilhelm Gebhard über die Chancen und Herausforderungen, die mit einer möglichen Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland verbunden sind. Im Gespräch wird die Frage erörtert, wie ein verpflichtender Dienst für junge Menschen in Zeiten geopolitischer Spannungen und gesellschaftlicher Veränderungen zur Stärkung des Gemeinwohls und der Verteidigungsfähigkeit beitragen könnte. Das komplette Interview finden Sie hier:
1. Wie stehen Sie grundsätzlich zur Wiedereinführung der Wehrpflicht? Wäre eine Wehrpflicht in der heutigen Gesellschaft noch zeitgemäß?
Unsere Gesellschaft steht vor großen Herausforderungen: geopolitische Spannungen, Fachkräftemangel im sozialen Bereich und ein schwindendes Bewusstsein für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Ein verpflichtendes Dienstjahr könnte einen Beitrag leisten, junge Menschen wieder stärker in die Verantwortung für das Gemeinwohl einzubinden und zugleich das Bewusstsein für Sicherheit und Solidarität zu stärken. Ich halte die Wiedereinführung der Wehrpflicht bzw. die Einführung eines verpflichtenden Gesellschaftsjahres daher in sicherheitspolitisch herausfordernden Zeiten wie diesen für zeitgemäß und notwendig. Der Dienst am und für das Land sollte nicht als Pflicht gesehen werden; er bringt noch mehr Vorteile. Ich selbst habe freiwillig meinen Dienst bei der Bundeswehr abgeleistet und mich zum Reserveoffizier ausbilden lassen, obwohl ich als dritter Sohn vom Wehrdienst freigestellt war. Es hat mir nicht geschadet - im Gegenteil. Der Dienst hat meinen Horizont erweitert und die Einstellung für mein Vaterland und für die freiheitlich-demokratische Grundordnung positiv geschärft. Ich habe Kameradschaft in schwierigen Situationen erleben und viele junge Menschen aus völlig unterschiedlichen Herkünften und Regionen sowie mit anderen Sichtweisen kennenlernen dürfen. Das war eine gute Erfahrung.
2. Wie ließe sich die Wehrpflicht mit dem Grundrecht auf Selbstbestimmung vereinbaren?
Selbstbestimmung ist ein hohes Gut, aber sie bedeutet nicht Beliebigkeit. Mit individueller Selbstbestimmung können wir unsere Freiheit nicht sichern. In einer solidarischen Gesellschaft gehört auch Verantwortung füreinander dazu. Ein zeitlich begrenzter Dienst für das Land – sei es bei der Bundeswehr, im Katastrophenschutz, im Krankenhaus oder in der Pflege – ist ein Beitrag zum Gemeinwesen. Wenn der Dienst vielfältig gestaltet ist und individuelle Interessen berücksichtigt, bleibt das Grundrecht auf Selbstbestimmung gewahrt, während zugleich gesellschaftliche Verantwortung gestärkt wird.
3. Wäre eine Wehrpflicht heute überhaupt noch praktikabel, angesichts von Fachkräftemangel und Studienplänen vieler junger Menschen?
Ja, wenn sie klug organisiert wird, individuelle Interessen im zeitlichen Rahmen berücksichtigt werden und der Dienst für alle gilt. Ein Dienst wird helfen, jungen Menschen eine Richtung zu zeigen und langfristig sogar helfen, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken: Viele entdecken durch ihren Dienst Berufe, die sie vorher nicht in Betracht gezogen hätten – etwa in Pflege, Bildung oder Technik. Als Vater von zwei Söhnen und als Mitglied des Bundestags, der häufig mit vielen jungen Menschen zusammenkommt, weiß ich, dass es nach der Schulzeit oft an Orientierung mangelt. Ein Dienst -egal wo- kann Orientierung bieten.
4. Würde eine Wehrpflicht Ihrer Meinung nach die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands stärken – oder ist das Symbolpolitik? Sehen Sie Alternativen?
Mich leitet der Satz "Wir müssen uns verteidigen können, damit wir uns nicht verteidigen müssen". Eine Wehrpflicht würde tatsächlich zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit beitragen – wenn sie modernisiert wird. Es geht nicht um eine Rückkehr zur alten Praxis, sondern um eine zeitgemäße Form des Dienstes an der Gesellschaft. Neben militärischer Ausbildung könnte sie auch Fähigkeiten in Katastrophenschutz, Cyberabwehr oder Zivilschutz fördern. Symbolpolitik ist die Wehrpflicht auf keinen Fall – ein durchdachtes Konzept zur Einbindung junger Menschen kann unsere Resilienz als Gesellschaft und die Identität mit dem Heimatland deutlich erhöhen.
5. Wie könnte eine gerechte Alternative aussehen – etwa ein allgemeiner Gesellschaftsdienst?
Wie oben bereits ausgeführt, wäre ein verpflichtender und allgemeiner Gesellschaftsdienst für alle – Männer wie Frauen – aus meiner Sicht die fairste Lösung. Das kann der Wehrdienst oder wie früher ein Ersatzdienst sein. Jeder leistet einen Beitrag, unabhängig von Geschlecht oder sozialem Hintergrund. Dabei könnten junge Menschen zwischen verschiedenen Bereichen wählen: Bundeswehr, Rettungsdienste, Katastrophenschutz, Pflege, Bildung, Umweltschutz oder soziale Arbeit. So entsteht ein verbindendes Gemeinschaftserlebnis, das unsere Demokratie stärkt, soziale Berufe aufwertet und das Verständnis füreinander fördert. Davon profitiert nicht nur der Staat, sondern wir alle und ganz besonders die Betroffenen, die dieses Land in eine bessere Zukunft führen sollen.

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