Interview zur Situation der regionalen Wirtschaft

13.10.2025

Wilhelm Gebhard (CDU) spricht mit der Hersfelder Zeitung über die jüngsten Hiobsbotschaften aus der regionalen Wirtschaft.

Wenn auf dem Land die eine oder andere Firma pleitegeht, bemerkt man das als Politiker im fernen Berlin überhaupt?

Aber natürlich merke ich das. Ich bin ein bodenständiger Mensch und mit meinem Wahlkreis und mit meiner Heimat fest verwurzelt. Als ehemaliger und langjähriger Bürgermeister (der Stadt Wanfried, Anm. d. Red.) fühle ich auch mit dem Bürgermeister vor Ort mit, wenn so etwas passiert. Weil ich zudem weiß, was das für die Kommunen und für die betroffenen Menschen bedeutet. Im Fall des Sägewerks habe ich die Nachricht am vergangenen Freitag sofort und direkt an meine Kolleginnen und Kollegen der Arbeitsgruppe „Wirtschaft und Energie“ im Bundestag weitergeleitet. Nachrichten dieser Art erhöhen den Druck, dass wir endlich ins Tun & Handeln kommen müssen.

Welche Möglichkeiten haben Sie als Bundestagsmitglied, hat die Politik? Wie können Sie Unternehmen oder Kommunen helfen?

Ich kann nicht immer etwas tun, auch die Politik kann nicht alles schaffen. Aber sie kann Türen öffnen. Ich nutze zum Beispiel mein Netzwerk zu Bundes- und Landesbehörden oder Ministerien. Dabei können bspw. passgenaue Förderprogramme zur Stärkung von Unternehmen oder zur Unterstützung von Projekten das Ergebnis sein - wenn die Politik rechtzeitig mit einbezogen wird. Im Fall des Sägewerks Templin fand keine Kontaktaufnahme statt, hier bin ich ebenfalls von der endgültigen Entscheidung kalt erwischt worden. Wenn ich früher davon erfahren hätte, hätte ich mich sofort auf den Weg nach Nentershausen gemacht, um mit der Unternehmensleitung ins Gespräch zu kommen. Als ich von den Schließungsplänen erfuhr, habe ich ein Sägewerk in meiner Heimatkommune kontaktiert, eventuell können sie Mitarbeiter brauchen. Mehr ist da leider für mich nicht mehr möglich gewesen. Im Fall der AE Group war das anders. Hier habe ich bereits im Frühjahr von den wirtschaftlichen Problemen erfahren und sofort einen Termin mit der Unternehmensleitung erbeten. Ich möchte nicht nur bei den Firmen und Unternehmen sein, wenn Jubiläen oder Einweihungen stattfinden, sondern auch in schwierigen Phasen; dann, wenn es wehtut. Worin liegen die Probleme, was können wir tun, waren meine Fragen? Für den Standort Nentershausen bestand bereits im Frühjahr nur noch wenig Hoffnung, wie ich erfuhr. Dafür aber für Gerstungen. Die Mitarbeiter aus Nentershausen sollten in Gerstungen eine Perspektive erhalten, so die damalige Aussage. Das gab mir etwas Zuversicht, auch deshalb, weil ich wusste, dass die AE Group beim Land Thüringen hoch aufgehangen war. Letztlich war aber keiner der über 140 potenziellen und angefragten Investoren an der AE Group interessiert, da kann am Ende auch die Politik nichts mehr machen, außer die richtigen Lehren aus dieser katastrophalen Unternehmensentwicklung zu ziehen.

Es stellt sich derzeit die Frage, wer überhaupt noch große Investitionen wie eine Standort-Übernahme tätigt.

Es klingt bitter, dass dazu im Augenblick aufgrund der allgemeinen Bedrohungs- und Sicherheitslage wohl am ehesten die aufstrebende Rüstungsindustrie in der Lage ist. Das ist ein Dilemma, denn für Rüstung werden Steuergelder verwendet. Trotzdem habe ich mich vor einigen Wochen schriftlich und letzte Woche noch einmal persönlich an den Vorstandsvorsitzenden eines großen deutschen Rüstungsunternehmens gewandt, ob er Interesse an den beiden Standorten im Herzen Deutschlands, an der hess.-thüringischen Grenze mit direktem Autobahnanschluss hat. Abgestimmt mit den Bürgermeistern vor Ort natürlich. In so einem Moment muss alles erlaubt sein, man muss nach jedem Strohhalm greifen. Es ist noch offen, wie das Unternehmen reagieren wird. Der Vorstandsvorsitzende antwortete mir, er bekomme jede Woche entsprechende Anfragen. Überall kommt es in Deutschland aktuell zu Werksschließungen. Dass zu hören, erhöht nicht gerade die Zuversicht. Die Hoffnung stirbt jedoch bekanntlich zuletzt.

Das klingt dramatisch. Was muss jetzt konkret geschehen?

Die Rahmenbedingungen müssen dringend geändert werden, es braucht mutige Sozialreformen, um beispielsweise die hohen Lohnnebenkosten für die Unternehmen zu senken. Die Bürgergeldfrage muss gelöst werden, um das Gerechtigkeitsempfinden für diejenigen, die täglich aufstehen, zu stärken. Zudem müssen die Kosten für Energie runter. Auch die Bürokratie muss endlich wirksam runtergefahren werden. Ich bin dankbar dafür, dass wir mit Wirtschaftsministerin Katharina Reiche eine Frau in dem wichtigen Amt haben, die all diese Themen im Blick hat und auf Wachstum setzt und weniger auf Ideologie.

Wobei die Veränderungen, die nun angestoßen werden, nicht schnell greifen können und dabei Fehler der Vorgängerregierungen ausgebügelt werden müssen.

Ja, gerade im Hinblick auf die Bürokratie sind in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren viele Fehler gemacht worden. Ich sage überzeugt, dass Kanzler Gerhard Schröder mit seiner Agenda 2010 damals einen mutigen Weg eingeschlagen hat, der Deutschland Luft zum Atmen verschaffte und gute Jahre der Wettbewerbsfähigkeit bescherte. Ich finde aber, dass man in unserem Land leider die vermeintlich guten Zeiten nicht nutzt, um aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen, sondern alte Fehler neu macht. Jetzt ist Tempo und Anpacken erforderlich und ein gesellschaftlicher Konsens und ein Zusammenhalt zwischen allen beteiligten Akteuren.

Was machen all die Hiobsbotschaften mit Ihnen persönlich?

Ich sehe mich nicht als Berufspolitiker, war vor meiner Zeit als Bürgermeister und Abgeordneter lange im Angestelltenverhältnis bei mittelständischen Betrieben tätig. In der Automobilindustrie und in der Verpackungsindustrie. In beiden Unternehmen habe ich Restrukturierungsmaßnahmen und auch die Übernahme durch neue Eigentümer erlebt. Ich weiß, wie sich das anfühlt, wenn das Unternehmen schwächelt und man Angst um seinen Arbeitsplatz hat. Ich fühle mit, wenn ich höre, dass in einem kriselnden Betrieb Ehepartner arbeiten, die vielleicht ein Haus finanzieren müssen. Wie das bei der Ae Group zum Beispiel mehrfach der Fall ist. Mich erschüttern die aktuellen Entwicklungen und sie machen mich auch rasend. Und ich fühle mich in meiner jetzigen Position verantwortlich, Deutschland wieder nach vorne zu bringen, so dass von einem Wirtschaftswachstum auch unsere Region profitiert.

Sie sagten, Sie könnten eventuell helfen, wenn Unternehmen Sie rechtzeitig informieren. Ist das ein Appell an die Wirtschaft?

Vor Ort sind natürlich die Wirtschaftsförderungsgesellschaften, die IHK, die Kreishandwerkerschaften, die Hausbanken, die Kommunen und Landkreise gute Ansprechpartner. Aber ich betone ausdrücklich, dass man auch die politisch Verantwortlichen in Wiesbaden und Berlin immer ansprechen kann und sollte. Dafür sind die Abgeordneten vor Ort da, nicht nur in guten Zeiten.